Eva Hanson

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#femalepleasure - Die ganze halbe Wahrheit

Wir leben in einer Kultur, in der die soziale, politische und finanzielle Gleichberechtigung von Frauen für viele kein dringliches Thema mehr zu sein scheint. Bei genauem Hinsehen zeigen sich jedoch noch immer zahllose Ungerechtigkeiten.

Hier nur einige wenige Beispiele: Der Frauenanteil unter Professoren an deutschen Hochschulen lag 2017 bei 39 Prozent. Der Frauenanteil beim Verwaltungs-, technischen und sonstigen Personal an Hochschulen: 70 Prozent. Frauenquote in den Vorständen der Dax-Konzerne: 12,1 Prozent (Deutschland befindet sich damit in etwa auf einer Stufe mit Indien oder der Türkei)

Frauen in den Top-Firmen kommen). Zwischen Männern und Frauen liegt offiziell eine Lohnlücke ("gender pay gap") von 21 Prozent. 1997 stimmten 138 Abgeordnete (darunter Friedrich Merz) gegen die Strafbarkeit von Vergewaltigung in der Ehe.

Derzeit ist ein neuer Streit um das Thema Abtreibung entbrannt: Ärzte sollen nach wie vor davon abgehalten werden, Frauen hierüber zu informieren. Wegen des „Werbeverbots“.

Noch Anfang des 20. Jahrhunderts, als Frauen in Deutschland, oft unter Einsatz ihres Lebens, um ihr Wahlrecht kämpften, waren viele Männer der Meinung, das weibliche Gehirn sei für politische Arbeit nicht geeignet und es gefährde die Stabilität der Nation, wenn sie mitbestimmen dürften.

Unsere Sprache liefert weitere Beispiele: Oft wird nur die männliche Form benutzt, in Aufzählungen hat der Mann in der Regel Vorrang (Romeo und Julia, Herr und Frau Meier), Formulierungen mit „man“ oder „jemand“ sind omnipräsent.

Es gibt keine schönen oder zumindest respektvollen Bezeichnungen für das weibliche Genital. Songtexte stellen Frauen häufig als passive Opfer ihrer Liebe dar, die sich verzweifelt nach dauerhafter Bindung sehnen.

Soviel zu Deutschland. Ein kurzer Blick nach Europa: die Schweiz führte das Frauenwahlrecht erst 1971 ein, Liechtenstein 1984.

#femalepleasure“ ein schweizerisch-deutscher Dokumentarfilm der Schweizer Regisseurin Barbara Miller, blickt nun für uns in die Welt und setzt sich vor allem mit weiblicher Sexualität im 21. Jahrhundert auseinander.

Fünf Frauen aus Indien, USA, Afrika, Japan und Deutschland erzählen ihre Geschichte im Kontext von fünf Kulturen und fünf Weltreligionen. Der Film müsste eigentlich „#femaleunpleasure“ heißen.

Es geht um sexuelle Belästigung, Zwangsverheiratung, Genitalverstümmelung, Gefängnisstrafe wegen „Obzönität“, Vergewaltigung, Morddrohungen.

Wir werden Zeuge einer Welt voller Angst vor weiblicher Sexualität und weiblicher Kraft; einer Welt, in der Religionen und Kulturen Machtstrukturen rechtfertigen und zementieren.

#femalepleasure liegt allerdings nicht so schwer im Magen wie ich erwartet hätte. Es werden nämlich auch eindrucksvoll Frauen gezeigt, die ihr Schicksal nicht passiv erdulden, sondern es auf unterschiedlichen Art in transformative Kraft umwandeln und Wege finden, zu einem positiven Wandel beizutragen. Und Männer, die diese Frauen aus vollem Herzen unterstützen.

Der Film legt also nicht nur Zeugnis ab von Ungerechtigkeit, Unterdrückung und Gewalt, sondern zeigt auch Wegweiser für modernes feministisches Engagement von Männern und Frauen. Und das ganz ohne feministisches Pathos.

Nichtsdestotrotz kommt hier nur eine Seite einer mehrdimensionalen Problematik zum tragen. Der sogenannte Feminismus hat einen zweifelhaften Ruf und viele Männer fühlen sich durch ihn bedroht – teilweise zu recht, wie ich finde. An der Debatte um #metoo lassen sich die Spannungen und die Komplexität der Thematik gut beobachten.

Ein zeitgemäßer Feminismus sollte in meinen Augen kein „Geschlechterkampf“ mehr sein, sondern Kollaboration: ein gemeinsames Streben nach Gerechtigkeit, Freiheit und Selbstermächtigung - für alle.

Hierfür ist die Unterstützung und Stärkung der Männer unabdingbar. Heutzutage eine (selbst)bewusste und starke männliche Identität auszubilden ist genauso schwierig, wie eine unabhängige und starke Frau zu werden.

Tiefe Unsicherheit über das eigene Mannsein und den Umgang mit dem mysteriösen „anderen Geschlecht“ führt auf der einen Seite zu ganzen Subkulturen sexuell frustrierter Männer, die ihrem Arger in extrem frauenfeindlichen und gewaltverherrlichenden Äußerungen, Fantasien und Handlungen Luft machen (siehe „Incels“/ „involuntary celibates“: laut Wikipedia mindestens 4 Massenmorde. 45 Tote).


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Auf der anderen Seite sind viele Männer zutiefst verunsichert, weil sie traditionelle Männerbilder ablehnen, aber kaum positive Vorbilder finden. Weil sie sich für ihre „Gattung“ schämen und Angst haben, Frauen unabsichtlich zu verletzen. Weil Frauen nicht offen mit ihnen darüber kommunizieren, was sie fühlen und wie sie behandelt werden möchten.

Des weiteren brauchen wir eine feministische Bildung: eine, die sich nicht darauf beschränkt, dass Kinder nicht auf bestimmte gender-spezifische Rollenmuster festgelegt werden sollen, sondern einen kritischen Umgang mit Sprache in den Mittelpunkt stellt. Und zwar nicht nur mit mysogynen und sexistischen Äußerungen, sondern auch mit Begriffen wie „mansplaining“ und „himpathy“ und mit dem Fehlen von Vokabular für die Benennung von Ungerechtigkeiten und Unterdrückung.

Dies wäre aber nur der erste Schritt. Die Unterteilung von Menschen in zwei Geschlechter wird immer fragwürdiger. Die Vielfalt genderqueerer Lebensformen muss in diesem Diskurs unbedingt mitgedacht werden. Nicht zuletzt lassen sich viele Argumente, Strategien und Ressourcen der Feminismus-Debatte auf unterschiedlichste Formen von Marginalisierung und Benachteiligung beziehen (Hautfarbe, soziale Herkunft, sexuelle Orientierung, Behinderung).

In letzter Konsequenz würde es also nicht mehr darum gehen, sich als „Mann“ oder „Frau“ gegeneinander zu behaupten, sondern darum, würdevoll Mensch zu sein.

Wir leben in Zeiten, wo es wieder wichtig wird, klar Stellung zu beziehen: Die Politik rückt nach rechts. Fremdenfeindlichkeit wird wieder salonfähig.  Unsere potenzielle zukünftige Bundeskanzlerin war entschieden gegen die Ehe für alle, weil dadurch womöglich "das Fundament unseres gesellschaftlichen Zusammenhalts erodiert" und – Gott bewahre! - polyamorösen Vielehen Tür und Tor geöffnet wird.

Die AfD bezeichnet „Gender-Ideologie“ als verfassungsfeindlich. Die Darstellung von und Auseinandersetzung mit Sexualität wird aus sozialen Netzwerken wie Tumblr, Facebook und Whatsapp verbannt, was die Gestaltung sexueller Subkulturen erschwert.

Viel mehr als den Kampf um Gleichheit, Macht und Geld brauchen wir also Kommunikation, Empathie, Solidarität und gemeinsame Ziele.


Ergänzend empfohlen:
SRF Kultur Sternstunde Religion zum Thema weibliche Sexualität.
Der philosophische Stammtisch (ebenfalls SRF Kultur) zum Thema #metoo.

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