Eva Hanson

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Ein Halleluja für die Vulva

Man kann von der Institution Kirche halten, was man will: Sie hat tiefgreifenden Einfluss auf unsere Sexualität gehabt und ist nach wie vor unbestreitbar wirkmächtig in unserer Gesellschaft. Ihre Haltungen gegenüber sexuellen Themen wie Schwangerschaftsabbruch, Homosexualität und Ehe prägen unsere politische Landschaft.

Während sich die katholische Kirche im Umgang mit sexuellen Übergriffen und Geschlechtsidentitäten nicht gerade mit Ruhm bekleckert, nahmen sich die Protestant*innen auf dem Evangelischen Kirchentag im Juni 2019 des Themas beherzt an – und zogen einen Shitstorm in den sozialen Medien auf sich.

Obwohl sich nur zwei von mehr als 2000 Veranstaltungen (ein Workshop „Vulven malen“ und eine Podiumsdiskussion „Schöner kommen – Zur Sexualität von Frauen“) mit Sexualität auseinandersetzten, befürchteten gottesfürchtige Twitterer, der Kirchentag würde zur „Sexmesse“ verkommen. Vorwürfe und Spott hagelte es vor allem von Männern. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Roderich Kiesewetter klagte auf Twitter: „Mich macht das traurig über meine evangelische Kirche“.

Nichtsdestotrotz war die Mal-Veranstaltung so überfüllt, dass Jugendliche begannen, Vulven vor dem Schauspielhaus auf den Boden zu malen. Aus meiner Sicht ein sehr gutes Zeichen!

Der Anteil Jugendlicher unter den mehr als 120 000 Besucher*innen war um einiges größer als bei Gottesdiensten und gerade sie könnten Orientierung und Bildung hinsichtlich Sexualität gebrauchen. Angesichts widersprüchlicher gesellschaftlicher Strömungen wie „Pornofizierung“ und #metoo-Debatte sowie unzureichender sexueller Bildung in Schulen und Elternhäusern nimmt die Verunsicherung in unserer vermeintlich „befreiten“ Kultur eher zu als ab.


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Die Strategie der Workshop-Leiterin – einer jungen, angehenden Theologin – klingt vielversprechend: Statt Vermeidung und Unterdrückung leiblicher Sehnsüchte soll durch das Malen von Vulven nach Vorlagen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung in ungezwungener Atmosphäre zum Gespräch über die „negativen Folgen jahrhundertelanger Tabuisierung weiblicher Geschlechtlichkeit“ angeregt und dieser entgegengewirkt werden. Die Teilnehmerinnen sollen sprachfähiger in Bezug auf ihren eigenen Körper gemacht werden, was sich hoffentlich in einem gesteigerten Selbstbewusstsein und Selbstwertgefühl niederschlägt.

Übrigens war der Workshop in das „Zentrum Geschlechterwelten“ eingebunden, das darüber hinaus ein dreitätgiges Programm zu Themenkomplexen wie #metoo, Familienbilder, Geschlechtergerechtigkeit und Gewalterleben von Männern anbot. Toll!

Doch weder besagte evangelische Theologin noch die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung haben sich das Vulva-Malen selbst ausgedacht. Unter anderem hier zeigt sich, dass das Revival des so lange unsichtbaren weiblichen Genitals und der weiblichen Sexualität mittlerweile in der breiten Öffentlichkeit angekommen ist. Diese Entwicklung hat Ende des letzten Jarhunderts im Zuge der „Freie Liebe“-Bewegung und der Adaption tantrischer und anderer spiritueller Inhalte Fahrt aufgenommen, sich jedoch hauptsächlich in sexuellen Subkulturen, zu denen auch die Tantra-Massage gehörte, abgespielt.

Vulven sind IN:
Zahlreiche Bücher informieren über Geschichte, Anatomie, Selbstliebe-Techniken und mehr. Lesemuffel können Comics oder Malbücher erwerben.
Menschen setzen sich dafür ein, dass das Wort „Vulvalippen“ in den Duden aufgenommen wird – damit sie weniger mit Scham assoziiert werden.
Frauen schmücken sich mit Vulva-Halsketten, machen Vulva-Abdrücke, cremen sie ein.

Sie schauen ihr Geschlecht mit professioneller Begleitung im Spiegel an, gönnen ihr ein Dampfbad oder eine ausführliche Massage.
Es gibt mehrere Tantra-Massage-Ausbildungen nur für Menschen mit Vulva und somit auch spezialisierte professionelle Vulva-Masseurinnen.

Hier zeigt sich, dass eine neue Berufsgruppe entsteht, deren Angebote sich zwischen oder jenseits von Wellness, Therapie und sexueller Dienstleistung bewegen. Sie bietet vielen Menschen wertvolle Unterstützung auf dem Weg zu einer erfüllenden Sexualität.

„Vulven malen ist dabei Vorschule!“ sagt Kristina Marlen, Physiotherapeutin, Feministin und Sexarbeiterin, die beim evangelischen Kirchentag aufs Podium eingeladen war und die mehr und mehr weibliche Kundinnen hat. Sexarbeiter*innen haben zur Weiterentwicklung sexueller Kultur jede Menge beizutragen: nicht nur Selbsterfahrung und -erforschung, Technik und Kunstfertigkeit, sondern auch Kommunikation und Grenzziehung, Coaching und Beratung.

Leider macht uns die aktuelle Gesetzgebung die Arbeit und das Leben mehr als schwer.

Wir kämpfen für eine lustvolle sexuelle Kultur – für Frauen und alle anderen!


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