Unisono. Über das Verhältnis von Einheit und Freiheit in der Liebe

Wir leben in einer Welt, in der die Liebe uns sowohl vor der kalten Welt da draußen, als auch vor der Einsamkeit unserer privaten Innerlichkeit retten soll und maßgeblich unser Gefühl von Selbstwert konstitutiert. Im Gegensatz dazu steht unser heutiges Bedürfnis nach Freiheit, Unabhängigkeit und individueller Selbstentfaltung. Die Liebe und die damit einhergehende Beziehung wird konstruiert und funktionalisiert, in der Hoffnung, ein gewisses Maß an Sinn, Geborgenheit und Sicherheit herzustellen.
In diesem Essay werde ich die Konzepte der sogenannten „romantischen Liebe“ und der „Liebesbeziehung“ daraufhin untersuchen, inwiefern sie auf einer bestimmten Auffassung von Subjektivität basieren, die uns nicht nur leere Versprechungen glauben lässt, sondern auch vom echten Lieben, Leben und Gedeihen abhält. Wenn wir uns von dieser Auffassung befreien können, löst sich nach meinem Empfinden der Widerspruch von Autonomie und Verbindung, von Bindung und Absichtslosigkeit in der Liebe ganz von allein auf.
Können wir eine Liebe denken, die weder auf das spezifisch abendländische Romantik-Modell, noch auf seine Verknüpfungen mit Individualität, Intimität und Authentizität abstellt? Was bleibt von ihr übrig, wenn wir all das ausklammern? Ich will versuchen, eine Liebe darzustellen, die all ihre Schönheit, Energie und Staunen erhält, ohne sich unentwegt in Verzweiflung, lähmender Passivität, Verstörtheit und Ambivalenz wiederzufinden. Darin eingegliedert ist ein Versuch, den intimen Wandel zu beschreiben, der sich in dieser Art zu lieben vollziehen kann. Was kann in der Nähe geschehen, wenn unser Leben – unsere Identität, unser Ich – nicht von ihr abhängt?