Liebe machen für Impotente

Sexlos wider Willen

Ich bin vorübergehend impotent. Na, das ist ja mal was neues.

Aus Gründen, die niemanden etwas angehen, sind meine Genitalien für drei bis vier Wochen verbotene Zone.

Das sollte doch nicht weiter problematisch sein, habe ich mir erst gedacht. Oft genug ist es mir plötzlich aufgefallen, dass ich wieder mal mehrere Wochen weder Sex gehabt, noch daran gedacht habe.

Scheinbar habe ich diesen inneren Dampfkessel nicht, von dem seit 200 Jahren alle reden: Diesen mächtigen Trieb, den man in regelmäßigen Abständen ablassen muss, sonst – ja, was eigentlich? Ich gehöre wohl zu denen, wo der Appetit beim Essen kommt, habe ich mir gedacht. Sollte also kein Problem sein.

Das ist jetzt zehn Tage her.

Vor mir sitzt ein Schokoladentörtchen. Mit Sahne.

Ich bin unzufrieden.

Naja, nicht ganz: Irgendwo in mir fackelt auch eine Art diebischer Freude… Viel zu lange hat es einfach mühelos geflutscht mit dem Sex, und das ist doch eigentlich langweilig?

Zumal es ganz normaler Heterosex ist. Ich bin gerade so erschreckend unqueer.. Und unkinky. Und faul noch dazu, aber das ist ja vielleicht schon wieder subversiv heutzutage.

Ich fands immer erfreulich, wenn es mit dem Sex nicht funktioniert hat, was aus den unterschiedlichsten Gründen vorkam.. Auch wenn es meistens verdammt unbequem und manchmal schmerzhaft war, ging damit immer eine Horizonterweiterung einher, die ich auf keinen Fall missen möchte.

Das Ausbleiben des Gewollten, die Nichterfüllung meiner Sehnsüchte schärfte den Blick dafür, wonach ich mich denn eigentlich sehnte und was ich nur glaubte, wollen zu sollen. Über die Jahre entdeckte ich unzählige Arten origineller Intimität und Lüste, die mit dem, was wir „Sex“ nennen, auf den ersten Blick nichts zu tun haben.

Trotzdem bin ich unzufrieden.

Und das, wie ich entsetzt feststelle, nicht nur wegen der Köstlichkeiten, die mir gerade entgehen. Es meldet sich eine Stimme in mir, die ich schon lange nicht mehr gehört habe: Sie behauptet, ich könne mich nur dann geliebt, gewollt, nah und geborgen fühlen, wenn ich begehrt werde. Eigentlich nur dann so richtig, wenn sich ein Penis in meine Vagina schiebt. Keine Ahnung, wer mir das beigebracht hat.

Na, toll. Ich dachte, darüber sei ich schon lange hinweg. Völlig erhaben.

Tschüss, Hybris.

Und jetzt?




Sexlosigkeit als Chance

Zum Glück habe ich zufällig gerade genau die passende Lektüre parat: Beate Absalon hat ein Buch über Impotenz geschrieben.

Naja, nicht ganz: Beate hat ein Buch für „Impotente“ geschrieben: Für alle, die nicht können, nicht wollen oder sich gar nicht für Sex interessieren. Für Frauen mit Vaginismus und Männer mit erektiler „Dysfunktion“. Für Verklemmte und Verdrossene. Für die, die schlechten Sex haben und die, die keiner will.

Kurzum: Für alle, die an dem scheitern, was uns als so wichtig und notwendig, natürlich und normal, glückbringend und gesund verkauft wird – und die deshalb als abnormal, bedauernswert oder gar krank gelten.

Ich persönlich bezweifle ja, dass ein müheloses, gewöhnliches und „erfolgreiches“ Sexualleben der Normalfall ist. Überdies berichtet die Presse neuerdings sorgenvoll von einer sexuellen Rezession und beklagt den „collective turn-off“.

Meine Reaktion: 1.: Kein Wunder, dass die Leute immer weniger Bock haben. 2.: Na und?

Beate wünscht sich eine nicht_sexuelle Befreiung. Sie will uns dazu ermutigen, der Allgegenwart des Sex, seiner Überladung mit Bedeutung, dem Leistungssex, dem idealen Sex, der Anspruchshaltung gegenüber der eigenen Funktionstüchtigkeit, den ungeschriebenen Sex-Gesetzen, schlichtweg jedem „du sollst“ den Mittelfinger zu zeigen.

Stattdessen schlägt sie vor, uns selbst und den Sex doch mal in Ruhe zu lassen. Was passiert, wenn wir wieder neugierig und erfinderisch werden in Bezug auf Intimität?


Variationen sexloser Intimitäten

Der arme Sex soll uns diverse essenzielle Bedürfnisse stillen. Dabei gibt es so viele Wege, sich zu verlustieren, sich nah zu sein, Vertrauen festzuklopfen und einander gut zu tun.

Hier mein Best-Of aus dem letzten Jahr:

Gemeinsam Mittagsschläfchen machen | Lachkrämpfe | Weinkrämpfe | Beim zweiten Besuch bei der neuen Flamme den eigenen Lieblingstee und Lieblingswein vorfinden | Sich gegenseitig den Rücken an genau der richtigen Stelle kratzen | Ein Pflaster am Rücken wechseln | Sich morgens erstmal ein Weilchen am Penis festhalten| Lernen, das Lieblingsessen oder den Kaffee des Herzblatts genau richtig zuzubereiten | Ausgiebig den unfassbar schönen Rücken eines fremden Menschen betrachten, ohne sein Gesicht gesehen zu haben und vor Lust fast verrückt werden, ohne dass jemand was merkt | Arschmassagen | Ich wiederhole: Arschmassagen | Alle Arten von Massagen | Für eine gemeinsame Veranstaltung einen Text des begehrten Mannes auswendig lernen, ihn komplett mit schwarzer Körperfarbe bemalen, dann bei der Performance in eine Art gemeinsamer Trance abgleiten | Das Herzblatt in die Badewanne legen und ihm erotische Geschichten vorlesen | Sich gegenseitig die eigene Lieblingsmusik vorspielen – auch die, die einem peinlich ist | Mit dem Kopf im geliebten Schoß einfach einschlummern | Beim Lesen zusammenrobben und sich hin und wieder gegenseitig besonders Interessante Stellen vortragen | Den Kopf beim Einschlafen immer in die gleiche Kuhle oben rechts neben dem Schulterblatt schmiegen, da, wo es so gut riecht | Raufen | Ein Guilty Pleasure teilen | Ihm zeigen, wie man Kajalstift aufträgt | Sich eine Hühnersuppe kochen lassen, wenn man krank ist | Den Mann versonnen beim Schlafen betrachten und sich dann (vorerst) den Lachkrampf verkneifen, als er von seinem eigenen lauten Pups erwacht | Sich gegenseitig bei viel Wein schlechte Gedichte vorlesen, die man irgendwann mal selbst geschrieben hat …

Das wäre für heute mein Beitrag zum kollektiven Mittelfinger. Stoßen wir den Sex vom Thron und widmen uns stattdessen Do-it-yourself-Intimitäten. Wir müssen uns nichts vorschreiben lassen. Auch nicht von den Stimmen in unserem Kopf.

Und das Sahnetörtchen?

Wir rasieren einander die Köpfe. Wir entdecken das Schlüsselbein als erotische und erogene Zone. Wir diskutieren heiß über Sex, während wir bei Brownies und Mate verkatert in der Sonne fläzen.

Der Rest geht niemanden etwas an.


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