Namasté am Arsch
„Ich grüße das Göttliche in dir.“
Viele behaupten, das bedeute das Sanskrit-Wort „Namasté“. So begrüßt und verabschiedet man sich traditionell in der Tantra-Massage, die auf dem Verehren des Individuums als göttlichem Wesen aufbaut. Behaupten viele.
Im „echten“, indischen Tantra hat es mit diesem Gruß tatsächlich etwas auf sich, aber das zu erklären würde jetzt zu lange dauern. Was diese Aussage in der heutigen, westlichen, kommerzialisierten Version des Tantra bedeuten soll, hab ich noch nie kapiert.
Dabei halte ich mich für keineswegs spirituell desinteressiert oder unbegabt, gar nicht. Aber dieser scheiß Eso-Kitsch löst bei mir einfach nur Brechreiz aus – was zur Hölle?
Schaut euch doch mal da draußen um! Kommt euch bei irgendwem, der oder dem ihr an einem durchschnittlichen Tag so auf der Straße, oder in der Straßenbahn, oder auf der Arbeit begegnet, das Wort „göttlich“ in den Sinn? Also mir eher selten.
Und jetzt stellt euch vor, die stehen nackt vor euch und bitten um Streicheleinheiten.
Namasté am Arsch!
Das hab ich natürlich noch nie laut gesagt.
Nicht mal Kolleg*innen gegenüber hab ich mich getraut zuzugeben, dass der „Verehrungsaspekt“, den alle so feiern, bei mir nicht vorkommt. Schon gar nicht, dass das Ganze für mich sehr nach Selbsttäuschung und Schein-Heiligkeit klingt und sie in meinen Augen eher spirituell verdächtig als erhaben aussehen lässt.
Gleichzeitig fragte ich mich oft ob ich überhaupt qualifiziert bin, diesen Job zu machen, wenn ich seine „Essenz“ nicht umsetzen kann und will. Aber meine Massagen waren trotzdem gut. Also massierte ich einfach immer weiter – in der Hoffnung, irgendwann dahinter zu kommen.
Theoretisch leuchtet mir diese „tantrische Lebensphilosophie“ – denn diese Leute beschränken ihre allumfassende, bedingungslose Liebe und Verehrung keineswegs auf ihre Massage-Tätigkeit – durchaus ein: Sie versuchen dem Elend, insbesondere dem sexuellen und sinnlichen Elend unserer Kultur etwas entgegenzusetzen: Gegen die Unterdrückung und Banalisierung von Lust und Begehren; gegen Selbstausbeutung und zerstörerische Selbstkritik; gegen die Epidemie kleinwüchsigen Selbstwertgefühls; gegen die Überzeugung, man sei nur liebenswert, wenn …
I get it!
Ich verstehe, dass Verblendung und Weltflucht auf Leid gut gedeihen.
Und ich kenne natürlich diese Art von Leid.
Fühlen konnte ich sie trotzdem nicht, diese innere Gegenbewegung.
Manchmal war ich versucht (ganz konform mit meiner Eso-Alternativ-Umgebungs-Kultur) zu glauben, ich sei einfach noch nicht „weit“ genug, müsste mich da noch „entwickeln“/„wachsen“/„lernen“. oder wie das bei denen heißt.
Es hat ungefähr zehn Jahre und schätzungsweise 1500 Massagen gedauert, diesen ewigen Selbstzweifel abzulegen und zu kapieren: Nö. Am Arsch muss ich das fühlen. Am Arsch muss ich irgendwelche dahergelaufenen Leute verehren und lieben und annehmen, ganz so wie sie sind.
Was die Frage aufwarf: Was tu ich denn da stattdessen? Wenn ich nackte Menschen so berühre, dass sie sich vollkommen fallenlassen in ein Gefühl, dass man in Ermangelung präziserer Vokabeln durchaus als „Liebe“ bezeichnen könnte, wenn dieses Wort nicht so abgenutzt und missbraucht wäre.
Ich grüße nicht das Göttliche in dir, nein..
Ich grüße deinen nackten Körper, wie er entblößt und völlig ungeschützt daliegt – unfähig, irgendetwas vor mir zu kaschieren oder zu verbergen. Ich grüße dein Fleisch, das selten so ist oder tut wie du es gern hättest. Deine Speckrollen, Borsten und Pickel. Die Scham und den Selbstekel. Deine tierhafte Geilheit und seltsamen Gelüste. Ich grüße deine diversen Ausdünstungen. Ich grüße die permanenten Verspannungen, von denen du weißt, dass sie von mangelnder Bewegung herrühren, zu der du dich aber nie aufraffen kannst.
Ich grüße deine inneren Widersprüche. All die Dinge von denen du weißt, dass sie dir gut tun würden. Würden. Deine ungelebten Träume. Deine Reue und dein schlechtes Gewissen. Ich grüße die Mauern in dir, vor die du immer und immer wieder rennst, ohne dir wirklich Mühe zu geben, sie einzureißen. Den Zorn auf dich und die Welt. Die ewig gleichen, nagenden Gedankenschleifen die so sehr zu deinem Alltag gehören, dass du sie kaum noch bemerkst.
Ich grüße die tristen Routinen und deine Sehnsucht nach Freiheit, die in einer entlegenen Ecke deines Bewusstseins vor sich hin weint. Den verfickten, penetranten Stress, der verzweifelt versucht dir etwas Wichtiges mitzuteilen, wenn du nur mal lange genug still halten könntest um zuzuhören.
Ich grüße das Ungesagte und die dunklen Geheimnisse. Die Leichen in deinem Keller, die du längst vergessen hast – oder vergessen zu haben glaubst.
Ich grüße deinen Geiz. Deine Eitelkeit. Deine übertriebenen Begehrlichkeiten. Deinen Größenwahn und deinen Minderwertigkeitskomplex. Dein peinliches Flehen um Aufmerksamkeit. Deine Einsamkeit. Die Löcher in die du manchmal fällst, von denen niemand wissen darf.
Ich grüße die Narben auf deinem Herzen und die offenen, eiternden Wunden. Ich grüße deine Angst.
Ich grüße die ganze, verfluchte Banalität deiner Existenz.
Unserer Existenz.
(An dieser stelle könnte ich jetzt eine positive Wendung einbauen, damit wir alle mit einem guten Gefühl hier wieder rauskommen. Ich könnte von Rührung und Hochachtung sprechen angesichts der Tatsche, dass wir es alle irgendwie schaffen uns durch dieses „Leben“ zu schlagen, mit und trotz unserer beängstigend großen Verletzlichkeit, unseren Mindfucks und ganz realen Unzulänglichkeiten. In einer Welt, die artgerechte Menschenhaltung geradezu unmöglich macht.
Aber das mit der Banalität war irgendwie gut.
Ich lass das mal so stehen.)
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