"Ich hab da eine Dissonanz"
Ich kenne Sascha Lobo nicht.
Das liegt daran, dass ich mir bisher den Luxus, die Faulheit und die Frechheit geleistet habe, mich in der Medienwelt nicht mehr als unbedingt nötig herumzutreiben.
Gerede und Zerstreuung sind nicht mein Ding. Vielleicht liegt das daran, dass man einen anderen Blick für Prioritäten bekommt, wenn man mit Sex arbeitet. Ich bin mir jedenfalls sicher, dass es an mir nicht spurlos vorbeigegangen ist, unzählige Male zu bezeugen wie das ultimativ Körperlich-Profane nahtlos übergeht ins absolut Schöne und Erhabene (manche nennen es „spirituell“).
Wenn ich derartiges von mir gebe, erfolgt fast immer eine von zwei Reaktionen: Entweder mein Gegenüber lächelt wissend und nickt schweigend. Oder es lacht amüsiert bis verächtlich. „Jaja, red dir deinen Job nur weiter schön, Kleines.“
Denn aus einer anderen Perspektive betrachtet besteht dieser darin, mehrheitlich männlichen, mehrheitlich weißen, mehrheitlich mittelalten, mehrheitlich wohlstandsbebauchten, Personen auf freundliche und raffinierte Art einen runterzuholen. Ich bin mir der kognitiven Dissonanz durchaus bewusst, die das in mir auslöst, die sich für eine emanzipierte Frau hält.
Von Schönrederei kann dennoch keine Rede sein: Beide Perspektiven sind gleichermaßen wahr – und es gibt sogar noch mehr.
FunFact: Die Welt ist komplex. Sowohl die natürlich gewachsene als auch die menschengeschaffene; und im Sex sind beide auch noch auf unentwirrbare Art miteinander verknotet. Wenn es um Dinge geht, die auch nur entfernt mit Sex zu tun haben, ist es fast unmöglich, objektive und sachliche Aussagen zu machen.
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Ich hatte gehofft es würde noch dauern, bis ich wieder etwas über Prostitution sagen muss. Die Dummheit und Redundanz der derzeitigen Diskussion ist so nervtötend, dass ich am liebsten einfach beleidigt die Klappe halten möchte.
Es ist als ob das Thema in den Hirnen der Menschen einen Schalter umlegt, der ihre Intelligenz schlagartig um die Hälfte mindert, während sich gleichzeitig ihre emotionale Erregbarkeit und subjektiv empfundene moralische Rechtschaffenheit mindestens verdoppelt. Aber das macht das Thema ja eigentlich schon wieder interessant.
Abgesehen davon bin ich persönlich betroffen: Denn als wäre es nicht schlimm genug, dass derzeit keins von den Problemen im Zusammenhang mit Prostitution, oder sagen wir lieber: Sexarbeit, gelöst wird. Die Unterkomplexität des Diskurses gefährdet zudem jene sexuellen Angebote, die kulturellen, gesellschaftlichen und therapeutischen Wert haben. Aber das ist hier nicht der Punkt.
FunFact: Die meisten Männer, die zu uns kommen, tun das nicht des Orgasmus wegen, sondern um ihrem Leben und Leiden für ein paar Stunden zu entfliehen und sich für ein Weilchen wirklich lebendig zu fühlen. Sie fallen völlig erschöpft direkt aus dem Hamsterrad in unsere Arme.
Anders als die meisten Sexarbeiterinnen vermieten sie ihre Zeit, ihre Lebenskraft und ihren Körper nicht in erster Linie für eine warme Wohnung und einen vollen Kühlschrank, sondern für fiktive Ideale, die ihnen die kapitalistische Leistungsgesellschaft aufzwingt. Jeden verdammten Tag fristen sie in lust-, körper- und gefühlsfeindlichen, stressbetriebenen Arbeitswelten und richten sich damit physisch und psychisch zugrunde (wo fängt „Zwangsprostitution“ an?).
Und da wir schon beim kritischen Hinterfragen sind, könnten wir bei den Definitionen von „Opfer“ und „Trauma“ gleich weitermachen, oder?
„Skandal!!“
Ja, ich weiß schon warum ihr euch jetzt aufregt.
Na und?
Wir sind doch eh alle gefickt. Jedenfalls alle, die nicht frei entscheiden können, wie sie ihre kurze Zeit hier auf Erden verbringen wollen.
Das sollte der eigentliche Skandal sein.
Manchmal meldet sich in mir so eine Art Pflichtgefühl: Die Pflicht, informiert zu bleiben. Ich quäle mich also durch den Emma-Artikel, der Sascha Lobo zum „Sexist Man Alive“ kürt. Und bereue es natürlich sofort. Das Ding ist an Hässlichkeit und Redundanz kaum zu überbieten.
Auch bestätigt er meine These bezüglich Intelligenz und Erregbarkeit: Nach Kollegah und dem Papst erhält Lobo diesen Preis einzig und allein für ein paar wenige Kommentare zum Thema Prostitution in irgendeiner Talkshow? Eindrucksvoll. Zumal er nichtmal viel gesagt und dabei größtenteils angesehene Organisationen zitiert hat.
Ja: Man fragt sich, warum er zu dem Thema überhaupt was sagen muss. Das fragt man sich bei allen anderen in der betreffenden Sendung „deep und deutlich“ allerdings auch. Abgesehen von Huschke Mau, die zwar wenig überzeugende Argumente, aber immerhin eigene Erfahrungen vorzuweisen hat. Sie scheint außerdem die einzige in der Runde zu sein, die sich mit dem Thema überhaupt schonmal tiefer auseinandergesetzt hat. Danke, NDR.
Ich weiß jetzt jedenfalls wieder, warum ich mich von den meisten Medien fernhalte.
Nennt mich faul. Nennt mich naiv. Aber ich verlege mich lieber weiter darauf, ein paar armen Seelen auf freundliche und raffinierte Art einen runterzuholen. Auf dass sie sich daran erinnern, dass sie Körper und Herzen haben und wenigstens ein paar Tage mit einem Lächeln auf den Lippen bestreiten können.
Hilfreicher als Emma-Artikel und NDR-Talkshows ist das allemal.
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