Das Prostituiertenschutzgesetz und seine Folgen

Das Gesetz zur Regulierung des Prostitutionsgewerbes sowie zum Schutz von in der Prostitution tätigen Personen hat am 23. September 2016 den Deutschen Bundesrat passiert. Der Staat gibt vor, gegen die Unterdrückung und Ausbeutung von Sexarbeiter*innen vorgehen zu wollen, wird sie aber mit diesem Gesetz vermutlich zurück in die Illegalität drängen, gute Arbeitsplätze zerstören und die Stigmatisierung weiter fördern.

Worum geht es?

Es gibt seit einigen Jahren eine hitzige Debatte um das neue Prostitutiertenschutzgesetz , das Ende 2017 in Kraft treten wird.

Seine Kernelemente sind eine Erlaubnispflicht für Prostitutionsgewerbe sowie eine Registrierung bei der örtlichen Behörde und verpflichtende Gesundheitsberatungen für Prostituierte*. Besagte (noch näher zu bestimmende) Behörde soll bei der Registrierung ein „Informations- und Beratungsgespräch in einem vertraulichen Rahmen“ durchführen. Im Verlaufe dieses Gespräches soll geprüft werden, ob die vorstellige „Prostituierte“* ihren Beruf freiwillig ausübt.
Wird entschieden, dass dem so ist, stellt die Behörde der Sexarbeiter*in eine Anmeldebescheinigung mit Lichtbild aus, die sie fortan bei ihrer Arbeit mit sich zu tragen hat. Die Anmeldung darf nicht erfolgen, „wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Person von Dritten durch Ausnutzung einer Zwangslage, ihrer Hilflosigkeit, die mit ihrem Aufenthalt in einem fremden Land verbunden ist oder ihrer persönlichen oder wirtschaftlichen Abhängigkeit zur Sexarbeit gebracht wird oder werden soll oder diese Person von Dritten ausgebeutet wird oder werden soll.“ In diesem Falle soll die Behörde Schutzmaßnahmen einleiten. Dabei erfolgt die „konkrete Auswahl der Maßnahme bzw. Maßnahmen einer individuellen Entscheidung durch die zuständige Behörde.“

Kritische Stimmen
Der Gesetzgeber erhofft sich von den neuen Regelungen eine verbesserte rechtliche Stellung der Prostituierten, bessere Arbeitsbedingungen und die Verdrängung ausbeuterischer Formen der Sexarbeit. An sich ein lobenswertes Unterfangen. Leider wird dieses mit dem neuen Gesetz entweder sehr schlecht umgesetzt, oder es verbirgt sich dahinter tatsächlich eine ganz andere Agenda.
Gegner des Gesetzes, die sich nicht nur in den Oppositionsparteien finden, sondern auch unter Feministinnen und vor allem unter Sexarbeiter*innen, befürchten, dass das Gesetz dem Erreichen der gesetzten Ziele eher entgegenwirken wird. Ich möchte nur einige Indizien hierfür zusammenfassen:
Erfahrungen aus anderen Ländern zeigen, dass viele Sexarbeiter*innen der Registrierungspflicht aus Angst vor Stigmatisierung nicht nachkommen. Dies würde eine erneute Verdrängung in die Schutzbedürftigkeit durch Zuhälter und Bordellbetreiber und in die Kriminalität bedeuten, denn illegal tätige Männer und Frauen werden sich bei Problemen wohl kaum an die Polizei wenden. Umgekehrt waren und sind Menschenhandelsopfer in anderen Ländern in der Regel registriert.
Der Bundesverband erotische und sexuelle Dienstleistungen (BesD) argumentiert folgerichtig, dass die Anmeldepflicht einer so hoch stigmatisierten und diskriminierten Gruppe keine erforderliche Maßnahme im Sinne des Prinzips der Verhältnismäßigkeit und damit unzumutbar und rechtswidrig sei.
Der BesD berichtet außerdem, dass die existierenden anonymen Sozial- Rechts- und Gesundheitsberatungen durchaus dankbar angenommen werden. Unwahrscheinlich, dass nicht-anonyme Zwangsberatungen einen ähnlich positiven Effekt haben werden. Im Gegenteil, bestehende Vertrauensverhältnisse könnten sogar zerstört werden.

Befürchtungen
Ich bezweifle stark, dass die Behörden allesamt ausreichend geschult werden, um ihre verantwortungsvolle Aufgabe im Sinne der Zielsetzung des Gesetzes zu erfüllen.
Möglicherweise kommen mit den behördlichen Auflagen erhebliche Kosten auf die betroffenen Personen zu. Der Mehraufwand für die Behörde muss ja irgendwie finanziert werden. Des Weiteren wird Sexarbeiter*innen fortan untersagt, auf Dienstreisen kostengünstig in den Bordells zu übernachten. Die Erlaubnispflicht und die damit einhergehende Überprüfung neuer baulicher Vorschriften (z.B. getrennte Toiletten für Männer, Frauen, Mitarbeiter*innen und Kund*innen) werden kleinen Unternehmen, die als die besten Arbeitsplätzen dieses Gewerbes gelten, womöglich den Garaus machen.
Man befürchtet außerdem, dass die neuen Regelungen Behörden- und Beamtenwillkür Tür und Tor öffnen. Die „zuständige Behörde kann jederzeit Anordnungen erlassen“, wenn sich jemand belästigt fühlt. Dies klingt zum einen wie eine Blankoberechtigung zur Prostitutionseindämmung, zum anderen ist nicht zu erkennen, inwiefern solche Anordnungen die Rechte der in der Sexarbeit Tätigen schützen. Die Behörden haben außerdem die Befugnis zur Kontrolle einer Privatwohnung bei einem Verdacht auf unangemeldete Sexarbeit. Vorsicht also, wer hier und da einer promiskuitiven Lebensweise frönt.

Interessant auch die Anmerkung zum Gesetzestext hinsichtlich des Datenschutzes: „Nach § 3 Absatz 9 des Bundesdatenschutzgesetzes sind unter anderem Angaben über das Sexualleben eine besondere Art personenbezogener Daten. Eine Definition des Sexuallebens enthält weder das nationale noch das europäische Recht. Insbesondere macht es keine Aussage dazu, ob auch die Information über das berufliche Anbieten sexueller Tätigkeiten zu den datenschutzrechtlich besonders schutzwürdigen Angaben über das Sexualleben gehört. Es muss daher „Sinn und Zweck der datenschutzrechtlichen Regelung bei der Auslegung herangezogen werden.“
Was das wohl in der Praxis bedeutet?

Worum geht es wirklich?

Der Staat gibt also vor, gegen die Unterdrückung und Ausbeutung von Sexarbeiter*innen vorgehen zu wollen, drängt diese aber durch das neue Gesetz zurück in die Illegalität, zerstört gute Arbeitsplätze und fördert die Stigmatisierung. Beim Lesen des Gesetzes zeigt sich deutlich, welche Vorstellung von Sexarbeiter*innen dem Gesetzesentwurf zugrunde liegt, nämlich das allseits beliebte Klischee der unmündigen Sexarbeiterin. Manche unterstellen dem Gesetzgeber sogar das Aussprechen eines Prostitutionsverbots durch die Hintertür. Wie sonst ist zu erklären, dass offensichtlich im Zuge der Verhandlungen und Ausarbeitungen einschlägige Expertenmeinungen, Studien, die Ergebnisse von eigens initiierten Ausschüssen, die Einwände von Berufsverbänden, der Deutschen Aidshilfe, dem Deutschen Frauenrat usw. geflissentlich ignoriert wurden?

Einige Kritiker*innen setzen noch viel früher an. Nicht nur sind die Strategien falsch, sondern auch das Problem, das angenommen wird (Deutschland sei das „Bordell Europas“, wo unzählige osteuropäische Frauen zu Sexsklavinnen gemacht werden): „Das für jedermann einsehbare ‘Bundeslagebild Menschenhandel’ bestätigt, dass es seit Inkrafttreten des Prostitutionsgesetzes immer weniger werden; im Jahr 2014 waren es gerade 392 abgeschlossene Ermittlungsverfahren (8 Prozent weniger als im Vorjahr).“ schreibt Felicitas Schirow. Undine de Revière, Pressesprecherin des BesD, vermutet, dass man auf schätzungsweise 2000 Straftaten pro Jahr kommt, wenn man die Dunkelziffer miteinrechnet. Geht man davon aus, dass es in Deutschland 40000 – 60000 Sexarbeiter gibt, kommt man auf eine Quote von einem Prozent. Ihr ist in ihrem Arbeitsalltag noch kein aktueller Fall begegnet, Kolleg*innen geht es ebenso. In Bundesländern, die bereits jetzt Identitätskontrollen und anlassunabhängige Durchsuchungen erlauben, ist die Aufklärungsrate von Menschenhandelsdelikten übrigens nicht wesentlich höher als in den übrigen Bundesländern. (Quelle: Bundeslagebilder BKA). Eine mangelnde Kontrolldichte liegt also offenbar nicht vor.

Trotz der hohen Medienpräsenz des Themas und großem Engagement vonseiten des BesD sind für mich noch viele Fragen offen:
Wen betrifft das Gesetz eigentlich, wer zählt als „Prostituierte*r“? Die Heterogenität und Mobilität des Gewerbes spiegeln sich im Gesetzestext nicht wieder.
Wieso wird Sexarbeiterinnen überhaupt Schutzbedürftigkeit unterstellt? Was für ein Bild der Sexarbeiterin herrscht da in den Köpfen vor und entspricht es der Realität?
Wieso wurden die Sexarbeiter*innen  zwar in die Ausarbeitung des Gesetzes einbezogen, ihre Einwände aber komplett ignoriert?
Was passiert mit den Zwangsprostituierten und Menschenhandelsopfern, die man mithilfe dieses Gesetzes aufspürt? Wo und womit werden sie ihren Lebensunterhalt verdienen?
Wieso wird Sexsabeit in Zeiten der “sexuellen Befreiung” noch immer stigmatisiert?
Wieso wird angenommen, Sexarbeit sei eng mit dem kriminellen Milieu verflochten? Ist sie es wirklich?
Wie soll die Kondompflicht kontrolliert werden, die das Gesetz vorsieht?
Was wird getan gegen Armut und Armutsmigration, die die Zwangsprostitution überhaupt möglich macht?
Hat der Staat eine Fürsorgepflicht für Menschen, die diese Fürsorge gar nicht wollen? Hat der Staat die Pflicht, seine Bürger vor sich selbst zu schützen?
Unter welchen Umständen wollen wir dem Staat das Recht einräumen, sich in unsere Sexualität einzumischen?
Wer schützt die Menschen, die aus finanziellen Zwängen anderen Jobs (z.B. Gebäudereinigung, Altenpflege) nachgehen müssen, die als erniedrigend empfunden werden, weil sie von der Gesellschaft wenig gewürdigt werden?
Wer legt die unklaren Begriffe im Gesetzestext aus und wann? Z.B. Zwang, Ausbeutung, sexuelle Dienstleistung, Entgelt, sadistische und masochistische Handlungen?

Wer hat Interesse daran, die Situation der Sexarbeiterinnen wirklich zu verbessern?
Der Staat verdient nicht schlecht an Steuern und Bußgeldern und ohne Probleme fehlt der Politik von heute ihre Bestimmung. Würde man das Problem tatsächlich lösen, könnte man sich nicht mehr als Retter stilisieren, indem man immer neue Lösungen präsentiert. Meiner Ansicht nach liegt die Vermutung nahe, dass hier mit Absicht die Realität verzerrt wird, um Mehrheiten herzustellen.

* Beim Schreiben und Lesen von Texten zu diesem Thema fällt auf, dass die Wortwahl entscheidend ist. Die Begriffe „Prostitution“ und „Sexarbeit“ werden meist synonym verwendet, sind jedoch bei genauem Hinsehen mit unterschiedlichen Vorstellungen verknüpft. Der Begriff „Sexarbeiter*in“ bzw. „sex worker“ wurde 1978 von Carol Leigh geprägt. Er soll helfen, negative Konnotationen abzubauen und Tätigkeiten im Bereich der Sexualität in eine Reihe mit anderen Dienstleistungen stellen. Der BesD spricht sich im Zusammenhang mit dem Prostituiertenschutzgesetz für seine Verwendung aus, um die gesamte Bandbreite der Betriebsformen zu erfassen.
Im Unterschied zu „Prostituierte“, mit dem man Bordelle, Laufhäuser, Straßenstrich, Clubs, Wohnungsprostitution verknüpft, wird der Begriff „Sexarbeiter*in“ als (Selbst)-Bezeichnung auch von und für Menschen verwendet, die keine direkte sexuelle Interaktion anbieten wie Peepshowdarsteller*innen, Pornoregisseure, Anbieter von bestimmten Formen von Coachings oder Selbsterfahrungs-Angeboten.
Ich würde in meinen Texten gerne durchgängig von Sexarbeit und nicht von Prostitution sprechen, doch dies ist nicht immer möglich, weil sich bestimmte Begriffe wie „Prostitutiertenschutzgesetz“, „Prostitutionssteuer“ usw. nicht vermeiden lassen.

Ich danke Lena Morgenroth für ihre hilfreichen Kommentare zu meinen Texten.

Lena Morgenroth und Martina Weiser bei Dradio Wissen

Dradio Wissen über das Prostituiertenschutzgesetz

2 Gedanken zu „Das Prostituiertenschutzgesetz und seine Folgen“

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