ist das dann eigentlich sex?

ob sie „das“ denn freiwillig machen, ist wohl die frage, die in bezug auf sexarbeiter*innen am häufigsten und verbissendsten diskutiert wird. wieso hat mich das eigentlich noch nie jemand gefragt?

unter mir windet sich ein nackter öliger Körper. er spannt sich an, zuckt, erzittert. Atmet dann ein paarmal tief ein und aus, entspannt, räkelt sich genüsslich. stöhnt dann auf, japst ein bisschen und verdreht die augen.
je nachdem was meine hände gerade mit seinem penis tun. ich habe nie gezählt, wie viele penismassage-griffe ich kenne. es sind viele…
das ist ein bisschen wie ein instrument zu spielen, eine mischung aus struktur und improvisation.

mit hoher wahrscheinlichkeit wird der mann, zwischen dessen beinen ich sitze, in etwa 20 bis 30 Minuten den besten orgasmus seines lebens haben und später dann völlig entrückt heimwärts schweben.
er wird beim nächsten Mal berichten, dass die tantra-massage, die ich ihm gegeben habe, und die übrigens insgesamt zweieinhalb stunden gedauert hat, tage-, wochen, vielleicht sogar monatelang seine wirkung entfaltet hat.

mach ich das freiwillig? fuck, yes!

aber nicht ohne ambivalenz.
es kommen zwar auch viele frauen und paare zu mir (tendenz steigend), aber der großteil meiner kundschaft besteht aus heterosexuellen, weißen cismännern mittleren alters. wobei die tatsache, dass sie heterosexuelle, weiße cismänner mittleren alters sind, eigentlich weniger das problem ist.

heterosexuelle, weiße cismänner mittleren alters bedeuten leicht verdientes geld. nicht nur, weil männliche körper im unterschied zu denen anderer geschlechter alle erstaunlich ähnlich funktionieren, sondern auch weil man männern mit kleinen gesten einzigartige geschenke machen kann, die sie nirgendwo anders bekommen. zum beispiel mit einem langsamen streicheln über den kopf. oder einer ausführlichen, haltenden umarmung. zärtlichkeit. geborgenheit. fallenlassen.
denn eigentlich geht es bei meiner arbeit gar nicht so sehr um lust, sondern vielmehr um liebe.

das würde ich aber niemals so sagen. das klingt nach flower power und hippies, nach sharing runden und mantren, nach sich unangemessen lange gegenseitig in die augen starren, nach bonbonfarbenen facebook posts mit banalen, angeblich inspirierenden zitaten – ihr wisst schon…
aber scheiße, irgendwo haben sie schon recht mit ihrem liebesgeschwafel.

ich habe das jetzt immerhin 10 jahre evaluiert: liebevolle berührung macht erstaunliches mit menschen. es verändert sie. zumindest kurzfristig.

was mich stört, ist die tatsache, dass diese männer sich mit meiner liebe – oder nennt es wie ihr wollt – aufladen, um wieder funktionsfähig zu werden. weil sie erschöpft, ausgebrannt, heruntergewirtschaftet sind. sie blättern lieber in mehr oder weniger regelmäßigen abständen 250 euro hin, als ihre lebensweise zu hinterfragen und etwas zu ändern.

ich lege das gefühlt 1397ste handtuch zusammen an diesem tag. auch das gehört zu meinem job. alle auf dieselbe, hübsche art und weise. schön kante auf kante, das zeichen innen versteckt, die großen dreimal gefaltet, die kleinen zweimal, die waschlappen einmal. dann staple ich alles sorgfältig in den schrank.
mach ich das freiwillig?
ähm, nö …
wenn ich kein geld verdienen müsste, hätte ich bestimmt nicht tonnenweise wäsche gewaschen, getrocknet, gebügelt und gefaltet.

ich hätte auch nicht so viel nackte, sinnliche zeit mit menschen verbracht, die mich außerhalb der massagepraxis nicht interessieren. hätte nicht an die tausend fremde samenergüsse von meinen händen gewaschen. hätte nicht hunderte wohlstandsschwabbelbäuche und pelzige rücken gekrault.

außerdem wache ich eigentlich nie morgens auf und denke mir: heute würde ich gern ein oder zwei menschen so nah kommen, wie es sonst nur diejenigen dürfen, mit denen sie auch den ganzen rest ihres lebens teilen – oft nichtmal die. ich würde sie gern behutsam und maximal aufmerksam in die lust begleiten und sie in intimsten momenten der selbstvergessenheit und hingabe erleben. jede emotion mitfühlen und darauf eingehen. ein einsames herz wärmen oder meine hände auf alte wunden legen. mit der ganzen rohen verletzlichkeit konfrontiert werden, die wir alle in uns tragen, aber uns selten bewusst machen.

nope. das denk ich mir nie.

aber wenn ich es mal eine weile nicht tu, fehlt es mir irgendwann.
mir fehlt dann, lustvoll in pralles fleisch zu greifen. das geräusch meiner hände auf öliger haut. das japsen und wimmern und das versonnene lächeln, das ich ausgelöst habe. der moment, wo wir irgendwann einfach schwer daliegen und nur noch aus atem, puls und wärme bestehen. der pure genuss, einfach zu existieren, die schiere lebendigkeit und die kindliche freude an den köstlichkeiten, die zwei körper einfach aus sich selbst generieren können.

und die penisse fehlen mir auch. ich mag die. sie sind weich und samtig und hübsch anzusehen und sie hüpfen lustig auf und ab wenn man sie gut behandelt. darf man das heutzutage als frau eigentlich noch? schwänze toll finden?

egal.

jedenfalls hat mich das noch nie jemand gefragt. ob ich das alles freiwillig tu.

nein, die meisten fragen zuerst erstaunt bis entsetzt, wie das denn sein kann, dass ich vor dem gesetz eine prostituierte bin, die sich registrieren und gesundheitlich beraten lassen muss. die einen hurenausweis mit sich herum trägt.

und dann reden wir darüber, ob das überhaupt sex ist, was ich da mache, und darüber was denn eigentlich sex ist.
wir sprechen darüber, warum lust wichtig ist, über scham und körperbilder, über männliche und weibliche sexualität, darüber, was berührung alles vermag, ob sexuelle bildung auch praktisch sein kann, über die banalisierung und kommerzialisierung des erotischen durch den garstigen kapitalismus und darüber, was für eine sexuelle kultur wir uns eigentlich wünschen.

und ob ich das freiwillig mache, ist mir dann herzlich egal.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.